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Annalena Baerbock
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Frage von Klaus N. •

Frage an Annalena Baerbock von Klaus N. bezüglich Recht

Sehr geehrte Frau Parteivorsitzende Annalena Baerbock,

meine Anfrage liegt in Ihrer Person als Parteivorsitzende und Völkerrechtlerin (LL.M.) begründet.

Ich beziehe mich auf einen post im Spiegel-Forum http://www.spiegel.de/forum/gesundheit/organspende-spahn-verteidigt-widerspruchsloesung-im-bundestag-thread-833393-4.html#postbit_70485535 , der die Rede von Jes Spahn zur verpflichtenden Gewebeentnahme im Bundestag kommentiert.

Ich möchte Sie als Völkerrechtlerin (LL.M.) fragen, ob die in diesem Post von isikat getroffene Aussage, dass "...Widersprüche dann einfach verschwinden - vor allem, wenn ein Politiker oder ein Reicher unbedingt ein Organ haben möchte. Im Gegensatz zur Zustimmung. Die muss nämlich vor Organentnahme definitiv vorliegen. Aber auch hier empfiehlt sich eine Prüfung der Unterschrift vor der Entnahme, denn auch eine Zustimmung kann gefälscht werden..." in der beschriebenen Weise, zumindest vom Ergebnis her betrachtet, völkerrechtlich überhaupt möglich ist?

Wenn ja, mit welcher Wahrscheinlichkeit und Häufigkeit und daraus abgeleitet, welche völkerrechtlichen Anforderungen sind an eine Körperverwertung in der auch von dem SPD Politiker Lauterbach lautstark geforderten Weise überhaupt - aus Ihrer fachkundigen Sicht - zu stellen?

Ein weiterer Kommentator äussert gar: "..verlange ich ein sicheres und von mehreren unabhängigen Stellen überwachtes Register, wo die Widersprüche gesammelt werden und nach Organentnahmen staatsanwaltschaftlich überprüft wird, ob diese auch rechtmässig waren. Und widerrechtliche Entnahmen wie ein Tötungsdelikt geahndet werden!..".

Wäre es aus Ihrer fachkundigen Sicht gar notwendig, sch ein Tatoo auf der Brust anbringen zu lassen, wie von dem Kommentator j-c-ditters gefordert: "Hände Weg !!" http://www.spiegel.de/forum/panorama/spahns-organspende-konzept-sterben-und-sterben-lassen-thread-825224-28.html#postbit_69944092

Für Ihre Antwort im Voraus allerbesten Dank.

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Antwort von
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Sehr geehrter Herr N.,

vielen Dank für Ihre Nachricht. Ich glaube es ist keinem geholfen, wenn wir uns an Spekulationen - wie Sie sie beschreiben - beteiligen. Für mich ist klar: Nur die Person, die von sich aus einwilligt, dürfen nach einem Unglück Organe entnommen werden. Organempfänger müssen nach Dringlichkeit - und nicht etwa nach ihrem Portemonnaie (wie Sie es beschreiben) ausgewählt werden. Vorschläge - wie das Stechen eines Tattoos auf der Brust - um der Organspende zuzustimmen - finde ich nicht zielführend.

Aktuell warten knapp 10.500 Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan. Dem stehen aktuell lediglich 832 Organspenden gegenüber. Vielen weiteren könnte geholfen werden, wenn es gelänge, die Zahl der Spenden zu erhöhen.
84 Prozent der Bevölkerung sind generell bereit, Organe zu spenden, aber nur 39 Prozent haben ihre Entscheidung auf einem Organspendeausweis oder in der Patientenverfügung dokumentiert. Gleichzeitig geht die Zahl der Organspender*innen seit 2012 zurück. Es ist daher an der Zeit, dass unsere Gesellschaft ausführlich über das Für und Wider beim Thema Organspende spricht, denn jedes Organ kann Leben retten. Letztlich ist s eine sehr persönliche Entscheidung. Bin ich bereit, Organe spenden zu wollen?
Resultierend aus der geringen Zahl der Organspenden hat die Bundesregierung Ende Oktober den Gesetzentwurf „Gesetz für bessere Zusammenarbeit und bessere Strukturen bei der Organspende“ (GZSO) vorgelegt.

Der Gesetzentwurf enthält viele begrüßenswerte Änderungen. Dazu gehören etwa die Stärkung der Transplantationsbeauftragten in den Kliniken und eine höhere Pauschale aller mit Organspenden entstehenden Kosten für die Entnahmekliniken. Der Gesetzentwurf setzt damit an den entscheidenden Punkten an, die wahrscheinlich für die im internationalen Vergleich geringe Zahl der Organspenden in Deutschland verantwortlich sind.

Neben diesen Vorschlägen hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn außerdem einen eigenen Vorschlag zur Organspende in die Debatte eingebracht. Er spricht sich für die sogenannte Widerspruchsregelung aus. Danach soll jede Person automatisch für eine Spende infrage kommen, solange er oder sie selbst bzw. die Angehörigen nicht ausdrücklich widersprechen. Doch der Vorschlag der Widerspruchsregelung ist ein starker Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht jedes Einzelnen. Der Gesetzgeber würde damit für den Einzelnen eine sehr persönliche Entscheidung vorwegnehmen, die dann nur mit aktivem Widerspruch aufgehoben werden kann. Die Selbstbestimmung über den eigenen Körper ist ein zentrales Element menschlicher Würde. Diese würde in den Augen vieler verletzt, wenn der und die Einzelne die eigene Selbstbestimmung im Zweifel nur durch aktiven Widerspruch durchsetzen kann.

Um diesen Bedenken entgegenzukommen und dennoch eine Erhöhung der konkreten Spendenentscheidung zu erreichen, schlagen wir eine regelmäßige obligatorische Befragung des und der Einzelnen durch den Staat vor, jedoch ohne eine vorherige Festlegung der Entscheidung durch den Staat.

Vorschlag: Wiederkehrende Ausweisbeantragung für Befragung zur Organspende nutzen
Jeder Erwachsene muss spätestens alle zehn Jahre seinen Personalausweis oder Reisepass erneuern. Hier könnte auf Grundlage einer Passreform eingeführt werden, dass jede Person zu diesem Zeitpunkt über ihre grundsätzliche Organspendenbereitschaft wiederkehrend Auskunft gibt. Bei der Ausweisbeantragung erhält der Antragsteller bzw. die Antragstellerin ausführliche und unabhängige Informationen etwa von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zur Organspende, die Möglichkeit eines persönlichen Gesprächs oder einer Telefonberatung für weitere Fragen. Bei der Ausweisabholung muss sich die Person dann entscheiden: Möchte sie alle bzw. einzelne Organe spenden, möchte sie dies explizit nicht bzw. aktuell darüber noch nicht entscheiden oder wer soll im Unglücksfall darüber entscheiden? Diese Entscheidung wird in einem verbindlich einzurichtenden Organspenderegister zentral vermerkt.
Verunglückt eine Person, ließe sich so leicht, rechtssicher und schnell von einem durch das jeweilige Krankenhaus benannten Arzt bzw. einer Ärztin im zentralen Organspenderegister erfragen, ob eine Organentnahme vom Verunglückten bewilligt ist, oder ob die verunglückte Person einer Entnahme vorab widersprochen hat.

Mit unserem Vorschlag zeigen wir einen Weg auf, wie die grundlegende, möglicherweise lebensrettende Entscheidung darüber, was mit den eigenen Organen am Lebensende geschehen soll, regelmäßig und rechtssicher organisiert werden kann und dabei das Selbstbestimmungsrecht sowie die Menschenwürde gewahrt bleibt.

Diese Entscheidung ist eine zutiefst persönliche Entscheidung, denn sie berührt die Frage, wie wir uns unseren eigenen Tod wünschen und in welcher Beziehung wir uns dabei zu anderen Menschen setzen wollen. Die Entscheidung für oder gegen die Organspende ist wie alles was Leben und Tod betrifft eine sehr individuelle, bei der viele Menschen großen Beratungs- und Informationsbedarf haben. Diesem Umstand muss bei der künftigen Ausgestaltung der Organspende stärker Rechnung getragen werden. Es genügt nicht, den Menschen die nötigen Unterlagen in die Hand zu drücken und sie dann alleine zu lassen. Es bedarf daher kompetenter und neutraler Beratungsmöglichkeiten, damit Menschen zu einer selbst bestimmten Entscheidung gelangen können.

Nach aktuellem Stand wird im Bundestag im Frühsommer 2019 das Gesetz verabschiedet. Bis dahin werden wir weiter über die Chancen und Risiken der verschiedenen Vorschläge diskutieren.

Mit freundlichen Grüßen
Annalena Baerbock

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