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Bodo Ramelow
DIE LINKE
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Frage von Kay F. •

Sehr geehrter Herr Ramelow, Wie erklären sie, daß der ursprünglich festgelegte Wahltermin wegen Corona abgesagt wurde, obwohl in Baden-Württenberg und Rheinland-Pfalz zeitgleich Wahlen stattfanden?

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr F.,

 

Ihre Frage ist berechtigt, aber nur aus der Zeit heraus zu erklären. Der zweite bundesrepublikanische Lockdown begann am 2. November 2020 und wird heute als Lockdown-Light bezeichnet. Dieser zweite Lockdown endete im Mai 2021 und erst danach waren die Einschränkungen von öffentlichen Veranstaltungen, Versammlungen, der Nutzung von Gebäuden und öffentlichen Räumen endgültig aufgehoben. Dazwischen war die so genannte Osterruhe noch angekündigt und falls Sie sich rückerinnern werden Sie wissen, dass die Ministerpräsidentenkonferenz erst eine strenge Osterruhe angeordnet hatte, die später von der Bundeskanzlerin Frau Merkel wieder aufgehoben wurde. Genau in dieser Phase fanden die Landtagswahlen von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz am 14. März 2021 statt. Beiliegend dokumentiere ich die Vereinbarung, die die Parteien CDU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die LINKE am 28. Februar abgeschlossen haben. Dort ist geregelt, dass die Wahl des Ministerpräsidenten auf den 4. März 2020 gelegt und der 25. April 2021 als Landtagswahltermin vereinbart wurde. Hierzu führt allerdings die genannte Vereinbarung aus, dass es Monate vorher im Landtag einen Antrag geben muss auf Auflösung des Thüringer Landtages, sodass geordnet die Verfahren zur Landtagswahl eingeleitet werden können. Zwischen dieser Auflösung, die eine Zweidrittelzustimmung aller Abgeordneten braucht, und der Durchführung der Landtagswahl muss aber ausreichend Zeit liegen, damit alle Parteien und alle Wahlberechtigten sich auf die Landtagswahl vorbereiten können. Landeslisten müssen erstellt werden, Kandidaten gesucht und gefunden werden, Direktkandidaten nominiert werden und genügend Wahlhelferinnen und Wahlhelfer eingewiesen und das Wahlprozedere abgesichert werden. Die Verantwortung dafür trägt der Landeswahlleiter. Dieser hatte sich mit der Vereinbarung vom 28. Februar auf die potenzielle Landtagswahl am 25. April 2021 auch vorbereitet. Die beiden Landtagswahlen Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz sind aber reguläre Landtagswahlen, die durch gesetzliche Bestimmung in jedem Fall im genannten Zeitraum durchgeführt werden mussten. Die vorgezogene Thüringer Landtagswahl hätte nur stattfinden können, wenn es zu einem Aufhebungsbeschluss gekommen wäre, der das Verfahren einleitet. Der Thüringer Landesregierung steht dieses Recht nicht zu und deshalb wird irrtümlich immer davon gesprochen, dass ich selber die Einleitung der Landtagswahl nicht veranlasst hätte. Das ist Unsinn, da rechtlich normiert der Gesetzgeber vorgibt, wann die Landesregierung aus eigener Kraft einen Landtagswahltermin definieren darf und dies ist festgesetzt auf Ablauf nach fünf Jahren Amtszeit und ist jetzt auf den 1. September 2024 auch gelegt worden. Der 1. September 2024 ist der erste Termin, den die Landesregierung festlegen konnte und deshalb habe ich als Ministerpräsident auch den frühestmöglichen Termin gewählt, auf den sich dann auch alle haben verständigen können.

 

Betrachten wir also den 14. März 2021 im Verhältnis zum 25. April 2021 könnte man sehr schnell zu Ihrer Frage kommen und uns damit auseinandersetzen, warum man die Wahlen in den beiden anderen Bundesländern durchführen konnte, warum aber die Wahl in Thüringen zu diesem Zeitpunkt gar nicht eingeleitet wurde. Hierzu gibt es noch eine zweite Betrachtung, die eine hochpolitische ist. Schon nach dem 28. Februar 2020 war abzusehen, dass es in der CDU-Fraktion zu Verwerfungen kommen würde. Letztlich teilten vier CDU-Abgeordnete schriftlich mit, dass sie an keiner Abstimmung teilnehmen werden, die zu einer vorgezogenen Neuwahl führen würde. Diese vier Stimmen wären aber zwingend notwendig gewesen, um zu einer eigenen Mehrheit jenseits der AfD zu gelangen. Diese vier Stimmen hätten auch kompensiert werden können durch die FDP, die zu diesem Zeitpunkt noch in Fraktionsstärke im Landtag vorhanden war. Kurios und widersprüchlich ist allerdings, dass Herr Thomas Kemmerich als gewählter Ministerpräsident in einer Pressekonferenz mitteilte, dass es nun einen Antrag von der Thüringer FDP geben werde auf Einleitung zur Neuwahl und obwohl er das Begehren ankündigte, hat er den Antrag niemals gestellt. Ganz im Gegenteil, nach der Ankündigung zur Neuwahl trat er von seinem Amt als Ministerpräsident zurück und hier greift die gesetzliche Regelung, dass er nach einem Rücktritt weder Minister neu berufen noch die Vertrauensfrage stellen kann. Die Thüringer Verfassung friert dann diese Situation ein, weil die Verfassungsmütter und -väter der festen Überzeugung waren, dass es ja dann eine Landesregierung geben würde, die geschäftsführend im Amt bliebe. Soweit die Verfassungsfiktion, aber die Realität war, dass Herr Kemmerich als Ministerpräsident sich hat wählen lassen, die Wahl angenommen hat, damit in einem demokratischen Parlament durch Wahl zum Ministerpräsidenten wurde, durch seine persönliche Annahme des Mandats auch in die Funktion des Ministerpräsidenten kam und dann aber keine Ministerinnen und Minister berufen hat. Das heißt, die Verantwortung für die regierungslose Zeit, die nach dem 5. Februar eingetreten ist, trägt ausschließlich Herr Kemmerich, denn trotz seiner Ankündigung, Neuwahlen einleiten zu wollen, hat seine Fraktion den Antrag im Landtag niemals gestellt und die Handlungsfähigkeit einer Regierung wurde ebenfalls nicht hergestellt, da kein Kabinett berufen und vereidigt wurde. In dieser Phase lief Thüringen durch die Regierungslosigkeit auf eine absolute Staatskrise zu, denn schon bei der ersten Bundesratssitzung nach der Amtsübernahme durch Herrn Kemmerich war das Land Thüringen im Bundesrat nicht mehr vertreten. Im Bundesrat kann ein Bundesland nur stimmberechtigt vertreten sein, wenn ein Minister während der Bundesratssitzung anwesend ist. Da keine Minister berufen wurden, konnte keiner anwesend sein und zum allerersten Mal gab es eine Situation, dass ein Bundesland im Bundesrat aufhörte, abstimmungstechnisch anwesend zu sein.

In der Folge wurde dann gemeinsam mit der CDU meine Wiederwahl vorbereitet, denn die Alternative, die ich vorgeschlagen hatte war, meine Vorgängerin Frau Lieberknecht zur Interims-Ministerpräsidentin nach Herrn Kemmerich zu wählen mit der einzigen Zielstellung, unmittelbar mit den gesetzlichen Fristen die Neuwahlen einzuleiten.

Ich persönlich war von Anfang an für Neuwahlen und ich ärgere mich bis heute, dass diese Neuwahlen letztlich durch das praktische Verhalten der CDU verunmöglicht wurden. Obwohl Herr Kemmerich die Neuwahlen angekündigt hat und nichts dazu getan hat, habe ich bis heute den Vorwurf auszuhalten, dass ich die Neuwahlen verhindert hätte, was nicht zutrifft.

 

In der politischen Bewertung nach dem 4. März tritt sodann die Besonderheit hinzu, dass der erste Lockdown mit Schließung aller Geschäfte unmittelbar eine Woche nach meiner Wiederwahl in ganz Deutschland durchgesetzt wurde. Bedenkt man also, dass der Auflösungsantrag spätestens zur Sommerpause 2020 hätte den Landtag erreichen müssen, so waren wir dann immer noch im ersten Lockdown und die Landtagssitzungen fanden unter verschärften Bedingungen in der Messe statt. Im ersten Durchlauf in dieser Zeit wurde der Landeshaushalt für das Jahr 2021 erarbeitet und es war klar, dass mit der Beschlussfassung zum Landeshaushalt 2021 auch der Auflösungsantrag zur Landtagswahl 2021 gestellt werden muss. In dieser Phase kündigten dann die vier CDU-Landtagsabgeordneten an, keinesfalls dem Antrag zur Auflösung des Landtages ihre Zustimmung geben zu wollen. Nach einer heftigen Debatte zwischen den vier Parteien erklärten dann zwei Landtagsabgeordnete der LINKEN, dass sie niemals in eine Abstimmung gehen werden, bei der sie letztlich zu der gewollten Auflösung nur kommen werden, wenn man auf die Stimmen der AfD setzt. Zwischenzeitlich hatte die FDP nicht nur ihre Meinung geändert, sondern sich komplett der Auflösung verweigert (trotz anderer Ankündigung von Herrn Kemmerich) und durch die Ankündigung der zwei LINKEN-Abgeordneten sowie dem Austritt von Frau Dr. Bergner aus der FDP wurde die Zweidrittelmehrheit des Thüringer Landtages, ohne auf die AfD rechnerisch setzen zu wollen, immer unwahrscheinlicher. Mit der Abstimmung zum Landeshaushalt gab es dann eine gemeinsame Willensbekundung, die Landtagswahl vom April 2021 noch einmal zu verschieben bis möglichst kein Lockdown mehr in Kraft sein würde, um einen vernünftigen Wahlkampf zu ermöglichen. Diese Debatte fand immer noch im ersten Lockdown statt und erklärt die Dinge eben nur aus der Zeit, die die Abgeordneten durchlebten. Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg hatten diese Situation überhaupt nicht, da deren Termine schlicht gesetzlich normiert und festgesetzt waren. Deswegen musste auch dort kein Parlament vorher sich damit beschäftigen, sondern der Zeitablauf der Amtszeit schrieb die Neuwahlen vor. Die Situation war dann faktisch im März 2021 so, dass es vorübergehend in den betroffenen Bundesländern zu einer wesentlich besseren Infektionssituation kam, wie wir sie zu diesem Zeitpunkt dann in Thüringen erlebt haben. Insoweit wird man manches auch nur verstehen können, wenn man sich die unterschiedlichen Infektionsentwicklungen in Deutschland parallel dazu anschaut. Waren wir im ersten Lockdown so gut wie gar nicht betroffen von Infektionen und spielte sich das alles weiter im Süden ab, so war im zweiten Lockdown die Situation genau umgekehrt. Versorgten wir im ersten Lockdown noch französische Patienten, weil wir in unseren Krankenhäusern so gut wie keine Betroffenen hatten, so war im zweiten Lockdown die Situation so, dass wir Patienten sogar in andere Bundesländer haben abgeben müssen, weil unsere Kapazitäten ausgeschöpft waren.

Nur aus dieser Zeitperspektive und in Erinnerung, wie Abläufe sich konkret dargestellt haben und Situationen in dem Moment bewertet wurden, als Abstimmungen hätten eingeleitet werden müssen, erklärt es sich, warum Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg fast reibungslos und unfallfrei dann durch die Landtagswahlen gekommen sind, während in Thüringen es nicht einmal mehr zur Abstimmung im Parlament gekommen ist, ob der Landtag aufgelöst wird. Ohne eine Auflösung des Landtages kann es aber keine vorgezogene Neuwahl geben und hier ist die Thüringer Verfassung eindeutig.

Ich hoffe, das Geschehen etwas mehr erhellt zu haben, und versichere noch einmal, dass ich mich bis heute sehr gefreut hätte, wenn es schon im Jahr 2020 unmittelbar nach dem 4. März zu einer Neuwahl gekommen wäre oder wenn statt meiner Wiederwahl die von mir geschätzte Kollegin Christine Lieberknecht die Geschicke bis zur Neuwahl gelenkt hätte, damit wir aus der politischen Patt-Situation hätten als Demokraten mit erhobenem Haupt gemeinsam heraustreten können vor den Souverän, der von seinem Wahlrecht Gebrauch hätte machen können.

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