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Frage von Georg M. •

Frage an Frank-Walter Steinmeier von Georg M. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrte Herr Dr. Steinmeier,

wie passt Ihre Antwort vom 24.01.2014 an Frau R. zu dieser Meldung?:
Wiederholung einer Doku auf PHOENIX:

Ein Dorf zieht um
Vom rumänischen Fantanele nach Berlin-Neukölln
Film von Susanne Glass
SENDETERMINE
So. 26.01.14, 21.45 Uhr
Mi. 29.01.14, 03.00 Uhr
Mi. 29.01.14, 13.30 Uhr
Fr. 31.01.14, 15.15 Uhr
Sa. 01.02.14, 07.30 Uhr
Sa. 01.02.14, 11.30 Uhr

Das rumänische Dorf Fantanele liegt 35 Kilometer nördlich von Bukarest. Aber ein großer Teil der Einwohner, alle Roma, ist längst umgezogen: Nach Berlin-Neukölln, Harzer Straße. Schon der Name klingt ein wenig nach Sozialhilfe. Und in der Tat, viele der Neuankömmlinge aus Fantanele beantragen Leistungen nach dem Hartz IV-Gesetz. Eine Armutswanderung, die in Deutschland für extremen Unmut sorgt.

Die Dokumentation zeigt die andere Seite: Fantanele und seine Einwohner. Sie erklärt, durch welchen Zufall ausgerechnet diese fast geschlossen nach Berlin umgezogen sind. Sie zeigt, wie sich Dorf und Bewohner dadurch verändert haben – die Zurückgebliebenen, aber auch die, die fortgezogen sind. Vor allem aber geht sie der Frage nach: Was sind das für Menschen, die da zu Hunderten zu uns kommen und noch kommen werden? Verblüffende Einblicke, die nicht den klassischen Klischees und Vorurteilen entsprechen.

Quellennachweis: www.phoenix.de

Ist das Ihrer Meinung nach kein Leistungsmissbrauch, wenn man ggf. ohne Arbeitsplatz in ein anderes Land geht und dort Sozialleistungen in Anspruch nimmt? Warum schickt man solche Menschen nicht zurück?

Aus meiner Sicht sind die Arbeitslosen die Leidtragenden, weil wenn die Sozialausgaben steigen, werden die Kommunen oder der Bund m.E. ( versteckte) Leistungskürzungen durchführen,- wie sehen Sie das?

Diese EU ist m.E. gut für die Exportwirtschaft, aber nicht für kleine Leute, weil die soziale Balance nicht mehr stimmt und es so zu Wanderungsbewegungen an ( vermeintlich) bessere Orte kommt. Was meinen Sie?

Mit freundlichen Grüßen

Georg Mayer

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Mayer,

vielen Dank für Ihre Anfrage zum Thema Armutsmigration aus Rumänien. Den von Ihnen angesprochenen Fall kann ich nicht bewerten, aber auch hier gilt, dass alle EU-Bürger das Recht haben, sich innerhalb der EU frei zu bewegen und nach Arbeit zu suchen. Meiner Meinung nach ist es wichtig, die Debatte über Ansprüche von Sozialleistungen von EU-Bürgern sachlich zu führen und Zuwanderer nicht unter Generalverdacht zu stellen. Den Anschein zu erwecken, es handle sich bei Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien um Menschen, die lediglich nach Deutschland kommen, um Sozialleistungen zu kassieren, geht an den tatsächlichen Fakten vorbei.

Die Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit rechtfertigen es gegenwärtig nicht, die Zuwanderung aus Rumänien und Bulgarien pauschal als Armutszuwanderung zu qualifizieren. 167.000 abhängig Beschäftigte aus Bulgarien und Rumänien waren es zur Jahresmitte 2013. Zusammen mit ca. 35.000 Selbstständigen beträgt die Erwerbstätigenquote über 60 Prozent. Die Arbeitslosenquote war mit 7,4 Prozent etwas geringer als im Bevölkerungsdurchschnitt und deutlich geringer als bei der ausländischen Bevölkerung insgesamt (14,7 Prozent). Die Zahlen zeigen weiter, dass 28 Prozent der neu zugewanderten EU-Bürger aus Rumänien und Bulgarien Hochschulabsolventen sind und 46 Prozent eine abgeschlossene Berufsausbildung haben.

Ich möchte aber nicht leugnen, dass in einigen Kommunen eine Konzentration der ökonomischen und sozialen Probleme stattfindet. Gerade hier zeigen sich die Probleme, die mit dem Begriff der „Armutsmigration“ verbunden werden. Miserable Wohnbedingungen oder unwürdige Arbeitsbedingungen treten hier gehäuft auf. Wir nehmen die Sorgen der Kommunen sehr ernst. Deshalb wird den Kommunen auch über die Städtebauförderung geholfen, arme Migranten zu integrieren. Dafür soll das Bundesprogramm „Soziale Stadt“ finanziell aufgestockt werden. Hierbei handelt es sich aber nicht um eine einseitige Finanzierung des Lebensunterhalts der betroffenen Zuwanderer, sondern um einen langfristigen Aufbau von Strukturen, welche es ermöglichen, sich zu qualifizieren. Damit wird die Möglichkeit geschaffen, sich in den deutschen Arbeitsmarkt zu integrieren und eben nicht dauerhaft auf Sozialleistungen angewiesen zu sein.

Aber auch zivilgesellschaftliches Engagement ist wichtig und unerlässlich. Die von Ihnen beschriebene Harzer Straße ist dafür ein schönes Beispiel. Aus dem einst heruntergekommenen Wohnblock ist auf Initiative eines katholischen Wohnungsunternehmens ein Wohnprojekt mit Modellcharakter entstanden. Die Bewohner der sanierten Häuser kommen größtenteils aus Rumänien. Der Initiator des Projekts, Benjamin Marx, betont dabei, dass das Haus kein Signal dafür sein soll, dass jetzt alle Roma hierherkommen sollen, sondern vielmehr der Nachweis dafür, dass sie nicht an ihrem Elend schuld sind und ganz normal leben wollen, wenn man ihnen die Chance dazu gibt. So schicken die Bewohner ihre Kinder jetzt zur Schule und viele Männer gehen als Handwerker oder Hausmeister arbeiten, was in ihren Heimatländern nicht möglich gewesen wäre.

Auch die EU steht hier in der Pflicht und hat zur Versachlichung der Diskussion mit der Veröffentlichung eines Leitfadens durch Sozialkommissar Andor beigetragen. Er betonte, dass es keineswegs die Brüsseler Position sei, Arbeitssuchenden aus anderen europäischen Staaten vom ersten Tag an Sozialleistungen zu gewähren. Ebenso gäbe es keinen Automatismus des dauerhaften Wohnrechts in einem anderen europäischen Land über sechs Monate hinaus ohne Nachweis einer Beschäftigung. Zugleich ist ein genereller Ausschluss von SGB-II-Leistungen für erwerbslose EU-Bürger aber unzulässig. Wichtig ist hier, dass konkrete Einzelfallprüfungen durchgeführt werden. Das bereits in der Antwort an Frau Resch erwähnte Gremium der Staatssekretäre wird sich mit den möglichen Folgen von Zuwanderung und Freizügigkeit in der EU befassen. Dabei wird geprüft, ob und welche operativen oder gesetzgeberischen Maßnahmen nötig sein könnten, um einen möglichen Missbrauch von Sozialleistungen zu unterbinden.

Viele sogenannte Armutszuwanderer sind Roma. Sie leben in ihren Heimatstaaten unter schlechtesten Bedingungen, weil sie dort seit vielen Jahren diskriminiert werden und sie in der Mehrheit weder Zugang zu Wasser, Bildung noch dem Gesundheitssystem haben. Deshalb müssen auch die Verhältnisse in den Herkunftsländern verbessert werden. Die Finanzmittel, welche die EU dort zur Verfügung stellt, müssen abgerufen werden. Damit soll den Menschen in ihren Heimatländern eine Perspektive gegeben werden, damit sie nicht mangels vorhandener Chancen auswandern müssen. Die Abwanderung schadet auch der Entwicklung in den Herkunftsländern, da z.B. durch den großen Wegzug von Ärzten und Krankenschwestern das dortige Gesundheitswesen leidet. Gleichzeitig muss das Recht, sich im Rahmen der europäischen Arbeitnehmerfreizügigkeit eine Arbeit in einem anderem EU-Land zu suchen, eingehalten werden.

Die eindeutige Reaktion der Wirtschaft auf die Debatte um die Armutsmigration zeigt, dass deutsche Unternehmen eine hohe Nachfrage nach qualifizierten Arbeitskräften haben, die ohne Zuwanderung nicht befriedigt werden kann. Deshalb sind Einwanderer ein Gewinn für Deutschland und unsere Wirtschaft. Gerade Deutschland profitiert von der von Ihnen beschriebenen Exportstärke und ist unter anderem auch deshalb das wirtschaftsstärkste Land in der Europäischen Union. Davon profitieren alle Bürger. Dies lässt sich nicht nur an den im Vergleich zu anderen EU-Ländern deutlich geringeren Arbeitslosenzahlen ablesen.

Die Frage, die im letzten Jahr die heftige Debatte ausgelöst hatte, ob EU-Bürger das Recht auf Hartz-IV-Leistungen haben, hat das Bundessozialgericht im vergangenen Dezember dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt. Die diesbezügliche Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes steht noch aus. Unabhängig davon, ist es für mich eine Frage der Menschenwürde, ob wir zulassen, dass in Deutschland Menschen leben, die unseren Kommunen solche Sorgen bereiten und ob wir nicht durch gezielte Hilfen, hier und in den Herkunftsländern, Chancen für ein gleichwertiges Leben schaffen sollten.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen mit der Antwort Ihre Sorge hinsichtlich der Armutsmigration in Deutschland nehmen.

Mit freundlichem Gruß

Frank-Walter Steinmeier