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Sibyll Klotz
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Holger M. •

Frage an Sibyll Klotz von Holger M. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrte Frau Dr. Klotz,

mich interessiert, was Sie gegen das "Geschäftesterben" am Tempelhofer Damm tun wollen. Immer mehr Ladenbesitzer müssen den T-Damm, zum Teil wegen überzogener Mieterhöhungen verlassen. Ladenmietbindung wäre da vielleicht ein guter Ansatz.

Gern wüsste ich hierzu Ihre Meinung. Vielen Dank im voraus.

Mit freundlichen Grüßen
Holger Much

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Much,
Sie sprechen ein sehr komplexes und eines der kontroversesten Themen der Legislaturperiode im Bezirk an. Um einen Überblick der verschiedenen Positionen und Standpunkte zu geben, ist es hilfreich die Geschehnisse kurz darzustellen:
Mehrere Bauprojekte sollen den Tempelhofer Damm (kurz T-Damm) wieder beleben: Neben einem Einkaufszentrum am Hafen sollten am Tempelhofer Rathaus gleichberechtigt die Rathauspassagen entstehen.
Doch die Rathauspassagen kamen schnell ins Stocken. War die Idee der gleichgewichtigen Entwicklung bereits im Vorfeld aufgegeben und dem Hafen-Projekt mehr Verkaufsfläche zugestanden worden, konnten sich die Projektentwickler nicht über die Verteilung der Ankermieter einigen. Die wiederum warteten ab, wie sich die Sache entwickelt, bis einer der Investoren das Projektmikado aufgab und die Unterschrift unter den Kaufvertrag für das Grundstück am Rathaus zurückzog.
Nun legten die Entwickler des Hafenareals richtig los. Die Aufteilung der Verkaufsfläche wirkte wie ein Spiegelbild des T-Damms.
Umso überraschender dann, als kurz vor Weihnachten das gesamte Bezirksamt - Bürgereister Band für die SPD, Baustadtrat Lawrentz für die CDU sich gemeinsam mit unserer grünen Stadtentwicklungsstadträtin Ziemer in einer Presseerklärung wieder zum Gegenteil bekannten: eine gleichberechtigten Entwicklung von Hafen und Rathauspassage. Dabei wurde auch gefordert, was wir als Grüne absolut richtig finden, was aber für die beider anderen Protagonisten ein reines Bäh-Wort zu sein scheint: Sortimentsbeschränkung.
Das Ganze wäre zu schön gewesen, um Bestand zu haben, denn natürlich ärgerte eine solche Aussage den Projektentwickler am Hafen. Die Drohung, sich aus dem Projekt zurückzuziehen, genügte schließlich, um die SPD-Fraktion und mit ihr Wirtschaftsstadtrat Band umkippen zu lassen. Mit der Entscheidung gegen eine Sortimentsbeschränkung ist allerdings das Schicksal des Projekts Rathauspassage endgültig besiegelt. Eine verantwortungsbewusste Strukturpolitik sieht anders aus. Das Projekt Hafen wird wie ein schwarzes Loch alles an sich reißen, was Gewicht hat. Dadurch wird das Flanieren um so uninteressanten werden, je weiter Mensch nach Norden kommt.
Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen sah vor, mit dem Projektentwickler Tempelhofer Hafen mittels eines städtebaulichen Vertrages eine Schwerpunktsetzung für einen überschaubaren Zeitraum von einigen Jahren zu vereinbaren, die 20% der Verkaufsfläche für den Bereich Bekleidung erlaubt. Dies steht in keinem Widerspruch zu den bekannten Vermietungen am Hafen und gefährdet in keiner Weise die Überlebensfähigkeit des Projekts, sondern sollte dem übrigen Tempelhofer Damm Raum zur Entwicklung garantieren. Das Instrument der Sortimentsbeschränkung ist rechtlich möglich und die Anwendung wäre für die Entwicklung des T-Damm dringlichst notwendig gewesen. Allerdings entwickelte sich der Fortgang wie oben beschrieben.

Es gibt noch zahlreiche andere solcher traurigen Beispiele in der Berliner Innenstadt. Deshalb haben wir als grüne Abgeordnetenhausfraktion uns immer gegen den großflächigen Einzelhandel vor allem aber nicht nur auf der grünen Wiese und für den Erhalt des Wirtschaftsstandorts Innenstadt eingesetzt. Konkret fordern wir in unserem Antrag (Drs. 15/4242), dass es künftig keine neuen Factory-Outlet-Center (FOC) mehr geben soll und bestehende FOC nicht erweitert werden.
Darüber hinaus unterstützen wir die Einrichtung von Standortgemeinschaften für Einzelhändler und Einzelhändlerinnen (sogenannten Business Improvement Districts), die sich zusammenschließen, um ihr Viertel im Wettbewerb mit Standorten auf der grünen Wiese und gegen Einkaufszentren besser zu positionieren.
Der Flächennutzungsplan Berlin weist alle Standorte aus, an denen großflächiger Einzelhandel mit seinen Nebensortimenten verträglich ist. Der Stadtentwicklungsplan Zentren und Einzelhandel beschreibt ortsteilgenau, wo und mit welcher Verkaufsfläche Einzelhandelsentwicklungen verträglich sind. In den Ausführungsvorschriften über großflächige Einzelhandelseinrichtungen für das Land Berlin sind Nebensortimente beschrieben und ist geregelt, wie diese verbindlich in der Bauplanung und Baugenehmigung verankert werden können. Der Senat ist aufgefordert, diese Planungsinstrumente im Beteiligungsverfahren der verbindlichen Bauleitplanung in seinen Stellungnahmen zu nutzen, damit sie von den bezirklichen Planungsbehörden berücksichtigt werden. Wir werden auch weiterhin nicht locker lassen und den Senat auffordern, alle rechtlich möglichen Mittel zum Schutz der Gewerbetreibenden einzusetzen. Das von Ihnen vorgeschlagen Instrument der Mietfestschreibung ist durch ein rechtliches Urteil des Obersten Verwaltungsgerichtes nicht mehr zulässig.
Daher gilt es andere Instrumente am T-Damm einzusetzen, um den Standort nicht "sterben" zu lassen. Eine Möglichkeit bestände darin, in das Programm "soziale Stadt" aufgenommen zu werden und so Quartiersmanagementgebiet zu werden. Außerdem die oben beschriebene Unterstützung von Eigeninitiativen der Gewerbetreibenden vor Ort über die Etablierung von Business Improvement Districts, womit beispielsweise in Hamburg gute Erfahrungen gemacht werden. Und nicht zuletzt eine Umsteuerung der Wirtschaftförderung des Berliner Senates weg von den Großunternehmen, stärker hin zu den Klein- und Mittelständischen Unternehmen, die ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor der Stadt sind.

(Anders als Herr Luczak glaube ich nicht, dass die Schließung des Flughafen Tempelhofs eine Schädigung des Standortes darstellen würde, dafür ist das Kundenpotential der Fluggäste viel zu gering. Geschäftsleute gehen nicht vor Ort einkaufen und TouristInnen fliegen kaum hier ab. Vielmehr würde ein ausgewogenes Nachnutzungskonzept des Flughafengeländes die Gegend attraktiver machen und Kunden anziehen.)

mit freundlichen Grüßen,
Dr. Sibyll Klotz