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Sibyll Klotz
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Frage von Elisabeth S. •

Frage an Sibyll Klotz von Elisabeth S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie

Sehr geehrte Frau Klotz,

Ihre Partei setzt sich für die Schulform der Gesamtschule ein und trotzt damit den Ergebnisse der Vergleichsarbeiten, die gezeigt haben, dass zwischen den Leistungen der 10. Klasse eines Gymnasiums und der einer Gesamtschule ein erheblicher Leistungsunterschied besteht. Unter der Bezeichnung "Ganztagsschule" fordern Sie das unterrichtliche Zusammenbleiben der Schüler bis zur 10. Klasse. Das gleiche Postulat ist aus den Reihen der PDS zu hören, allerdings benennt sie das Ganze als Einheitsschule. Ist die abweichende Benamung der Schulform auch der tatsächliche Unterschied?
Bzgl. der didaktischen und pädagogischen Ausrichtung des Unterrichts in der "Einheitsschule" plädiert Ihr Kollege Özcan Mutlu für eine Schule als Lernwerkstatt, in deren Rahmen "jedes Kind seinen eigenen Stundenplan mit individuellen Lernzielen" erhalten soll. Für wie realistisch halten Sie die Anfertigung und Durchführung solcher "Lernentwicklungspläne in praxi? Setzt eine solche Differenzierung nicht die Anwesenheit eines psychologischen/soziologischen Beraters voraus, um eine wirklich effektive Bewertung der Individualität eines jeden Schülers vornehmen zu können? Lässt sich schließlich ein "personal trainer" für jeden Schüler, der die Vermittlung des in der Didaktik geforderten Kompetenzkatalogs übernimmt, im Land Berlin finanzieren?
Ich schließe mit der Bitte um eine Definition des Begriffs "interkulturelle Kompetenz", das ebenfalls aus dem grünen Katalog an Postulaten stammt.

Mfg
E. Santini

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrte Frau Santini,

ja es ist richtig, wir setzen uns mittelfristig für eine 10-jährige gemeinsame Schule nach skandinavischem Vorbild ein. Aber diese Schule ist nicht mit den heutigen Schulen zu vergleichen, denn das Entscheidende ist meiner Ansicht nach nicht die Schulstruktur, sondern eine andere Qualität und Kultur des Schulunterrichts. Würden wir die heutigen Schulen, die heutigen Klassengrößen, die heutigen Unterrichtsmethoden, die heutigen Schulgebäude mit der heutigen Sachmittelausstattung, die heutigen LehrerInnen (mit der heutigen Leheraus- und Lehrerweiterbildung), die heutige Elternarbeit, die heutigen außerschulischen Angebote einfach in eine neue Schulstruktur packen - würden wir damit nichts, aber auch gar nichts gewinnen. Das ist, denke ich, auch der Unterschied zur PDS. Wer es ernst meint mit einer qualitativ wirklich besseren Schule, darf sich nicht auf die äußere Schulstruktur reduzieren und muß die notwendigen Reformen z.B. auch finanziell untersetzen anstatt auch in den Schulen zu sparen bis es quietscht. Deshalb haben wir beschlossen, 20% (jeden fünften Euro), der u.a. durch die Mehrwertsteuererhöhung zu erwartenden Mehreinnahmen in die Bildung zu investieren, um z.B. felxiblere bzw. kleinere Klassen im Grundschulbereich, die Ausstattung mit Büchern und Schulbibliotheken und die Sprachförderung - um nur Einiges zu nennen - auch wirklich finanzieren zu können. Wir wollen mehr Autonomie für die Schulen, und dass sie Verantwortung übernehmen für die Leistungen ihrer SchülerInnen.
Eine Veränderung der Unterrichtskultur stößt allerdings an strukturelle Grenzen, wenn die individuelle Förderung der Schülerinnen darin besteht auszusieben und leistungsschwächere SchülerInnen auf die nächstniedrigere Schulform abzuschieben. Es gibt keine Belege für die in Deutschland verbreitete Annahme, Lernen in leistungshomogenen Gruppen führe automatisch zu besseren Schulleistungen. Im Gegenteil: Alle Länder, die im Sekundarschulbereich ein größeres Leistungsspektrum bei den SchülerInnen aufweisen, haben bessere Ergebnisse, und das nicht nur bei den leistungsschwächeren SchülerInnen.
Unser schulpolitischer Sprecher, Özcan Mutlu, verweist zu Recht darauf, dass gemeinsames Lernen bis zur Klasse 10 und individuelle Förderung zwei Seiten einer Medaille sind. Was die individuelle Förderung anbelangt, müssen wir uns von den starren Formen verbschieden, die heute noch an den Schulen vorherrschen: Vom 45-Minuten Takt, von einer starren Klassengröße und auch von Zensuren, die alle über einen Kamm scheren. Deshalb ist es richtig, individuelle Lernziele zu formulieren, wie es übrigens in anderen Ländern schon längst geschieht. Dazu braucht es keinen psychologischen oder soziologischen Berater allerdings braucht es eine andere LehrerInnenausbildung mit der Vermittlung anderer Kompetenzen. Jede LehrerIn muss das können, was auch jeder gute Chef, jede gute Chefin kann: Individuelle Ziele formulieren, diese konsequent verfolgen, unterstützen und motivieren, damit diese Ziele auch erreicht werden. Wie es in der Bildungskampagne unserer Fraktion heißt: "Ich will´s wissen - Jeder Mensch ist begabt, fördern wir ihn!" (Mehr Infos unter www.ich-wills-wissen.info) Wenn ich mir so manchen Jugendlichen ansehe, der heute die Hauptschule ohne viel Chancen für seine berufliche Zukunft verläßt, bin ich mir ganz sicher: Auch dieser Junge, dieses Mädchen hat Begabungen, Stärken, die aber nicht entwickelt wurden, weil sich niemand dafür interssiert hat (nicht die Schule, aber auch nicht das Elternhaus), weil die Zeit und der Raum fehlte. Das dürfen wir nicht länger zulassen, hier muß Veränderung her.
Der Begriff "interkulturelle Kompetenz" zielt auf eine Fähigkeit ab, über die nicht nur aber gerade LehrerInnen verfügen sollten: Nämlich die Fähigkeit, mit Kindern und Jugendlichen aus unterschiedlichen kulturellen, ethnischen, religiösen Hintergründen so umzugehen, dass die kulturellen Besonderheiten wahrgenommen werden und im Umgang und der Arbeit mit den Kindern berücksichtigt werden. Oder wie es bei Wikipedia heißt: Interkulturell kompetent ist eine Person, die bei der Zusammenarbeit mit Menschen aus ihr fremden Kulturen deren spezifische Konzepte der Wahrnehmung, des Denkens, Fühlens und Handelns erfasst und begreift. Frühere Erfahrungen werden frei von Vorurteilen miteinbezogen und erweitert, die Bereitschaft zum Dazulernen ist ausgeprägt.

Sibyll Klotz MdA