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Lobbyismus in Zeiten von Corona: Arbeiten aus dem Homeoffice

Corona verändert das gesamte gesellschaftliche Leben. Auch Interessenvertreterinnen stellt das vor neue Herausforderungen. Ändern sich ihre Strategien und Forderungen? Oder hat sich ihre Arbeit einfach nur ins Homeoffice verlagert? Eine Recherche über Lobbyismus in Zeiten der Krise.

von Catharina Köhnke, 03.04.2020

Eigentlich hat sich nicht viel geändert und doch ist alles anders. In normalen Zeiten läuft das Meiste über E-Mail- und Briefverkehr, weniger als 30 Prozent der Lobbyarbeit sind tatsächlich persönliche Gespräche. So erklärt ein Lobbyist es abgeordnetenwatch.de. Corona ändere da erst einmal nicht viel, jetzt werde halt einfach telefoniert.

Wahlkreisveranstaltungen sind abgesagt und die Politikerinnen sitzen im Homeoffice am Computer – bereit, um auf E-Mails und Anrufe zu reagieren. Vom Telefon kommen sie schon nicht mehr weg. Einerseits sind Abgeordnete für Lobbyistinnen also sehr viel besser erreichbar. Andererseits gehen sie jetzt nur noch auf wirklich notwendige Anliegen ein. Denn für etwas anderes als die Krise ist keine Zeit. Da müssen sich manche auch schon mal mit einer Standardantwort begnügen, wenn ihre Sache keine existenziellen Fragen berührt. Aber was ist „systemrelevant“? An dieser Frage reiben sich zurzeit die Interessenvertreter der Republik. Daran müssen sie Prioritäten und Strategien ausrichten.

„Wenn sich Steuerberater an Die Linke wenden, dann muss es schlimm sein“

Corona verstärkt den Austausch zwischen Politikerinnen und Interessenvertretern. Sehr viel mehr Bürger und Unternehmerinnen, Verbände und Vereine suchen den Dialog mit den Abgeordneten ihres Wahlkreises. Viele Mitglieder des Bundestags sind im ständigen telefonischen Kontakt mit diesen Menschen und Organisationen. Auch Soziale Netzwerke sind für sie wichtige Kanäle, viele melden sich darüber bei den Abgeordneten mit Fragen und Sorgen. Auf andere gehen die Politiker direkt zu: Wie kann man helfen? Worauf muss man bei den Hilfspaketen achten? 

Anja Weisgerber (CSU) hat alle Spargelbauer in ihrem Wahlkreis persönlich abtelefoniert, erzählt sie im Gespräch mit abgeordnetenwatch.de. Kirsten Tackmann (Die Linke) redet regelmäßig mit der Tafel. Ralph Lenkert (Die Linke) ist mit Abfall- und Entsorgungsunternehmen im Kontakt. Der Ernst der Lage zeigt sich auch im derzeitigen Verhältnis zwischen Politikerinnen und Lobbyisten. Die Ansprechpartnerinnen von Interessenvertretern ändern sich in der Krise zum Teil und übliche Zuständigkeiten der Parteien verschwimmen schon mal, wenn es um Existenzen geht. Lenkert bemerkt: „Wenn sich Steuerberater an Die Linke wenden, dann muss es schlimm sein.“ Die Abgeordneten sind jetzt mehr denn je Schnittstellen für die unterschiedlichsten regionalen Forderungen und deren politischen Umsetzung im Bundestag.
 

Ministerium bei Nacht

„In diesen Tagen ist der Austausch sogar intensiver als zu normalen Zeiten"

Der Handlungsdruck steigt auch in den Ministerien. abgeordnetenwatch.de hat bei drei Bundesministerien nachgefragt, wie sich dort die Corona-Krise auf die Anhörung von Interessengruppen auswirkt. Eine Sprecherin des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend stellt fest: „In diesen Tagen ist der Austausch sogar intensiver als zu normalen Zeiten - zum Beispiel, wenn es darum geht, wie sich die Einrichtungen zum Schutz vor häuslicher Gewalt in der aktuellen Lage aufstellen müssen.“ Das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz betont, dass es ihm wichtig sei, „auch in Krisenlagen die Kommunikation mit den Interessenvertretungen sowie der Gleichstellungsbeauftragten zu gewährleisten.“ Das Bundesumweltministerium will „keine allgemeingültige Antwort“ auf die Anfrage geben. 

Doch nicht jeder Austausch zwischen Interessenvertreterinnen und Politikern ist intensiver als vor Corona. Lobbyaktivitäten werden in einigen Fällen auch heruntergefahren. Ein gut aufgestelltes Familienunternehmen mit Eigenkapital und Rücklagen versucht, zuallererst ohne staatliche Hilfe zurechtzukommen. Wenn es sich dann zu gesetzlichen Regelungen zur Kurzarbeit äußern und informieren will, dann telefoniert die Personalabteilung mit Berlin, nicht die Abteilung für Politische Kommunikation. Andere Lobbyorganisationen nutzen die Zeit, um sich Strategien zu überlegen, mit denen sie dann nach der Pandemie neu ansetzen können. Bis dahin werden bestimmte Themen erst einmal auf Eis gelegt. Beschränkt wird sich auf das, was wichtig ist. „Wir haben nicht den Ehrgeiz, uns mit Anliegen an Politiker zu wenden, die gerade ganz anderes im Kopf haben," erklärt Christoph Atzpodien, Hauptgeschäftsführer vom Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie (BDSV).

Alle kümmern sich, seien ansprechbar und würden ihr Bestes geben

Regierungsviertel
 Pixabay

Gleichzeitig überschneiden sich die Interessen von Verbänden häufig mit den Problemen, die Corona aufwirft. Der BDSV etwa setzt sich dafür ein, dass die Ausrüstung der Bundeswehr gewährleistet wird – weil diese nur so als Reserve in Krisensituationen für die Gesellschaft bereitstehen könne. Für den Verband der Chemischen Industrie (VCI) und seine Mitgliedsunternehmen sei es geradezu notwendig, mit der Politik zusammenzuarbeiten, schildert ein Verbandssprecher. Hier werde die Produktion und der Verkauf von Desinfektionsmitteln und Atemschutzmasken in einem direkten Austausch mit den Regierungen gesteuert. VCI-Mitarbeitende und die Führungsebene seien sieben Tage die Woche im Einsatz. 

Nicht nur Politikerinnen und Ministerien, auch Verbände und Interessenorganisationen arbeiten im Ausnahmezustand. 

Von Seiten der Wirtschaft werden Regierungen, Ministerien und Abgeordnete gelobt. Alle kümmern sich, seien ansprechbar und würden ihr Bestes geben. „Politik und Wirtschaft müssen die Logik des anderen verstehen, um handeln zu können. Derzeit hilft es sehr, dass Politiker die Situation von Unternehmen in Deutschland gut kennen,“ erklärt Andreas Möller von der Trumpf Gruppe, ein mittelständischer Hersteller von Werkzeugmaschinen und Lasern. Auch Abgeordnete äußern sich abgeordnetenwatch.de gegenüber positiv darüber, wie sehr alle Beteiligten sich um vernünftige und pragmatische Vorgehensweisen bemühen würden. Den Austausch zwischen Politik und Wirtschaft beschreiben viele als Zusammenarbeit in einer Notsituation, in der es gerade nur darum gehe, vernünftige Lösungen zu finden. Doch wer darf mitreden und entscheidet darüber, was „vernünftig und pragmatisch“ ist?

„Durch Corona haben Lobbyisten ihre Strategien geändert. Sie sind dreister in ihren Forderungen geworden"

Aus diesem Grund sehen nicht alle die Situation so durchweg positiv. „Durch Corona haben Lobbyisten ihre Strategien geändert. Sie sind dreister in ihren Forderungen geworden und tragen ihre Anliegen offensiv an die Politik heran", berichtet Martin Häusling, Grünen-Abgeordneter im EU-Parlament. Dies betreffe zum Beispiel die Düngeverordnung. Manche Politikerinnen zeigen sich zudem besorgt darüber, dass auch jetzt wieder eher die Stimmen derjenigen gehört werden, die sonst schon den besten Draht ins Kanzleramt und die Ministerien hätten. Zu viele Lobbyisten würden, so äußern sich Abgeordnete, den Ernst der Lage leider noch nicht erkennen. Diese würden sich dann eben nicht für eine Bewältigung der Krise im Sinne des Gemeinwohls einsetzen.

Und es gibt noch eine weitere Gefahr, meinen besorgte Politikerinnen: Einige Interessengruppen nutzen die Pandemie als Argument für Forderungen, mit denen sie bisher nicht erfolgreich waren, obwohl ihre Anliegen von Corona eigentlich nicht direkt berührt werden. Abgeordnete berichteten dahingehend von gezielten Kampagnen. In Brüssel etwa würden Bauernverband und andere Lobbyistinnen die Sicherstellung der Nahrungsmittelversorgung als Vorwand nutzen, um neue Umweltgesetze zum Schutz der Biodiversität zu verzögern. Politiker von EVP und CDU hätten Forderungen von Lobbyisten übernommen, obwohl, so Häusling, Biodiversität und Corona doch nichts miteinander zu tun hätten.

Viele bemerken, wie wichtig die persönliche Begegnung eben doch ist

Wie überall gilt: Der Alltag wird, soweit es geht, aufrechterhalten, denn Interessen müssen und sollen weiterhin in die Parlaments- und Regierungsarbeit eingebracht werden, trotz der Einschränkungen durch Corona. Die zufälligen Treffen, die spontanen Unterhaltungen – das ist gerade nicht möglich. Veranstaltungen, wie parlamentarische Abende oder Podiumsdiskussionen, sind bis in den Mai hinein abgesagt, sagen Gesprächspartner. Viele bemerken gegenüber abgeordnetenwatch.de, wie sehr die persönliche Begegnung eben doch wichtig ist. Die ist zwar nicht immer nötig, doch eine Voraussetzung ihrer Arbeit ist Vertrauen. Wenn Politiker und Interessenvertreter sich noch nicht kennen, sei es hilfreich, sich real gegenüber zu sitzen und nicht virtuell per Videocall zu begegnen. Und auch sensible Informationen, die vertraulich bleiben sollen, verewigt man eher ungern in E-Mails oder äußert sie in einer Video-Konferenz. Auch wenn die technologische Lernkurve bei allen gerade nach oben schnellt.

Ob die Corona-Krise langfristig etwas an den Arbeitsstrukturen ändert? Möglich, sagen die einen, eher nicht, meinen andere. Rüdiger Jürgensen, Geschäftsführer der Tierschutzorganisation Vier Pfoten in Deutschland, bemerkt: „Wir befinden uns noch am Anfang dieser kollektiven Erfahrung. Einige Wochen wird es sicher noch dauern, bis wir die Auswirkungen wirklich zu spüren bekommen.“ 

Wenn man derzeit mit Lobbyisten und Politikerinnen spricht, zeigt sich: Auch das Argument „Systemrelevanz“ ist noch kein Garant für einen Interessenaustausch, bei dem alle die gleichen Möglichkeiten haben, Politiker auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Gerade in der Krise wird offenkundig, was in der pluralistischen demokratischen Gesellschaft grundsätzlich gewährleistet werden muss: Ein fairer und transparenter Interessenaustausch aller. 

Mitarbeit: Susan Jörges
 

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