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Matthias Miersch
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Frage von Adelheid P. •

Frage an Matthias Miersch von Adelheid P. bezüglich Finanzen

Sehr geehrter Herr Dr. Miersch,

bei dem exorbitanten Schuldenberg, den die Bundesregierung vor sich herschiebt und der zunehmend eine Gefahr für uns (das gemeine Volk), unsere Kinder und Enkelkinder wird, stellt sich mir die Frage, warum erlauben wir uns nach wie vor den Luxus von 16 Bundeländern. Wer und wie sollen die Pensionen der vielen Abgeordneten in den nächsten Jahrzehnten bezahlt werden . Mehr und mehr Aufgaben werden von der EU übernommen. Warum leisten wir uns nach wie vor Stadtstaaten ? Wären z.B. 8 Bundesländer nicht ausreichend ? Haben die Entscheidungsträger in der Politik nur sich und nicht das Gemeinwohl im Auge ??

Mit feundlichem Gruß
Adelheid Pfennigstorf

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Antwort von
SPD

Sehr geehrte Frau Pfennigstorf,

vielen Dank für Ihr Schreiben. Wenn Sie meine Arbeit der vergangenen Jahre verfolgt haben, wissen Sie sicherlich, dass Sie mit Ihrem Anliegen bei mir offene Türen einlaufen. Beispielsweise habe ich entgegen großer Widerstände gegen die in meinen Augen vollkommen unzureichende Föderalismusreform gestimmt.

Ich bin wie Sie der Meinung, dass es innerhalb der Strukturen unseres föderalen Systems enormes Einsparpotential gibt. Sicherlich muss in diesem Zusammenhang auch über die Anzahl und die Größe der Bundesländer diskutiert werden und darüber, an welchen Stellen in unserem parlamentarischen System Doppelzuständigkeiten vermieden werden können.

Um die von Ihnen geforderten Reformen umzusetzen, sind allerdings Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat notwendig, die in absehbarer Zeit nach meinen Erfahrungen nicht zustande kommen werden. Ich habe darum anlässlich der Abstimmung zur Föderalismusreform I vor einigen Jahren mit dem ehemaligen Präsidenten der Humboldt Universität Prof. Hans Meyer und dem Kollegen Steffen Reiche aus Brandenburg einen Vorschlag erarbeitet, der vorsieht, durch eine Volksabstimmung die Legitimation für eine Neustrukturierung des föderalen Systems herzustellen. Sicherlich können Sie sich vorstellen, wie groß die politischen Widerstände gegen einen solchen Weg sind. Ich bin aber überzeugt davon, dass dieser Vorschlag in den kommenden Jahren aufgegriffen wird. Ich hänge den Aufsatz dieser Antwort bei.

Für mich ist besonders ärgerlich, dass beispielsweise im Bildungsbereich jedes Bundesland seine eigenen Experimente machen kann und es dem Bund verfassungsmäßig untersagt ist, in Bildungsangelegenheiten einzugreifen. Dabei bin ich der festen Überzeugung, dass gerade Bildung eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist und den Zugangsschlüssel für fast sämtliche Probleme unserer Gesellschaft darstellt.

Bei allen Fragen, die mir zu unseren öffentlichen Haushalten gestellt werden, verweise ich immer auch darauf, dass wir neben den vielen Sparmöglichkeiten, die wir noch nicht ausgeschöpft haben, auch die Einnahmenseite im Auge behalten müssen. Im angesprochenen Bildungsbereich beispielsweise wäre es fatal, mit dem Rotstift zu arbeiten. Für diese und andere Aufgaben muss es eine solide Finanzierung geben, die verstärkt von denen geleistet werden muss und auch nur geleistet werden kann, die am meisten von unserer Gesellschaft profitieren. Steuersenkungen würden nur zu weiterem Ungleichgewicht und einer noch stärkeren Konzentration von Vermögen in den Händen weniger führen.

Ich wünsche mir, dass wir in den kommenden Jahren den Mut haben, bestehende Strukturen in Frage zu stellen, wenn sie nicht mehr zeitgemäß sind. Sicherlich brauchen wir dafür Politiker, die über den Tellerrand hinausschauen und den Begriff des nachhaltigen Handelns ernst nehmen.

Mit freundlichen Grüßen

Matthias Miersch

Aufsatz

Prof. Dr. Dr. h.c. Hans Meyer, Dr. Matthias Miersch MdB, Steffen Reiche MdB

„Föderalismusreform alternativ: Erfüllung eines Versprechens“

Eine Idee, die nicht gefährlich ist, verdient es nicht, überhaupt Idee genannt zu werden.
Oscar Wilde

Alle wollen eine grundlegende Reform des Föderalismus. Denn Deutschland braucht ein neues Miteinander von Bund und Ländern.

Naturgemäß aber haben die Länder eine grundlegend andere Vorstellung von der Mutter aller Reformen als der Bund und die Bürger. Im bisherigen Verfahren ist aus diesen widersprüchlichen Interessen von Bund und Ländern nur ein mühsamer Kompromiss geworden. Es wurde gefeilscht und gehandelt. Für das eine, was gegeben wurde, musste etwas anderes an Verantwortung übertragen werden. Oft war nicht die Frage maßgeblich, wer es besser kann bzw. welche Ebene der Aufgabe gemäß ist. Das Motto war meist nicht „Was Deutschland nützt, machen wir“ sondern „Wir geben dem Bund etwas, wenn er uns dafür etwas gibt“.

Herausgekommen ist eine Reform, mit der aus gegensätzlichen Gründen niemand wirklich zufrieden ist. Weil keiner eine Alternative sieht zu dieser in einem jahrelangen Ringen erkämpften und schon in einem ersten Anlauf gescheiterten Reform, wollen alle missmutig zustimmen.

Das Ungleichgewicht zwischen den Ländern wird mit dieser Reform vertieft. Deutschland wird seiner Rolle als größter Partner in der EU nicht besser wahrnehmen können und Deutschlands Rolle in der globalen Dynamik wird nicht gestärkt.

Aber was passiert, wenn nach den Wochen den Anhörungen im Mai über 38 Stimmen im Bundestag fehlen werden und damit die Zweidrittelmehrheit verfehlt wird?

Viele Abgeordnete insbesondere der SPD und der Opposition verweisen darauf, dass Grundgesetzänderungen Gewissensfragen sind und sie deshalb ihre Zustimmung zum Koalitionsvertrag nicht in die Koalitionsdisziplin zwingen kann. Zu viel steht auf dem Spiel.

Deshalb muss die Frage gestellt werden: Wie geht es weiter, wenn die Reform scheitert? Die Frage bliebe: Wie können wir den Föderalismus reformieren? Und die Lage bliebe dieselbe: es geht nur in einer großen Koalition der beiden Volksparteien, weil nur so eine Zweidrittelmehrheit, eine grundgesetzändernde Mehrheit erreicht werden kann. Ein Dilemma, das viele zwingen könnte, nolens volens doch zuzustimmen. Wider besseren Wissens, dass Deutschland damit nur anders, aber nicht besser wird, dass Deutschland für die Herausforderungen in Europa und der Welt zumindest nicht besser aufgestellt ist.

Es gibt eine Alternative. Wie die Revolution in Osteuropa, der Sturz der Mauer und die Einheit Deutschlands zeigen, gibt es immer Auswege, auch aus scheinbar ausweglosen Situationen.

Die Alternative ist die Erfüllung eines Versprechen eben jener Verfassung, die eine sinnvolle Reform so schwer macht. Denn: „Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt, verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist" (Art 146 GG). Dass dieses Grundgesetz die beste Verfassung ist, die Deutschland bisher hatte, sieht man nicht nur daran, dass sie sich in Vielem so bewährt hat, sondern dass sie wie alles Große, über sich hinausweist.

Das gewählte deutsche Parlament schafft die Voraussetzungen zur Wahl einer verfassungsgebenden Nationalversammlung oder konstituiert sich selbst als Verfassungsgebende Versammlung. Es geht damit den von den Vätern und Müttern des Grundgesetzes gerade für den Fall der deutschen Einheit in Freiheit gewiesenen Weg. Es legt dem deutschen Volk eine neue Verfassung zur freien Entscheidung vor. 16 Jahre nach „Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands“ haben wir allen Anlass, demütig die Weisheit der Mütter und Väter des Grundgesetzes zu nutzen.

Der Bundestag ist der von dem deutschen Volke gewählte Gesetz- und Verfassungsgeber. Gerade auch wegen seiner im Grunde alternativlosen Bestimmung zu einer Großen Koalition darf er diesen Auftrag auch für sich annehmen. Der Bundestag muss in diesem Fall nicht mit dem Bundesrat kooperieren wie Art. 79 Abs. 2 GG für Grundgesetzänderungen vorsieht. Denn das Verfahren nach Artikel 146 GG ändert nicht das Grundgesetz, sondern es ersetzt es. Die maßgebende Entscheidung liegt nach Art. 146 GG beim Volk.

Die Erarbeitung der Verfassung kann legitimer Weise nur durch ein vom ganzen deutschen Volk gewähltes Gremium erfolgen. Das ist der Bundestag, denn er setzt sich aus Abgeordneten die in den alten Ländern und in den 1990 hinzugetretenen Ländern gewählt worden sind. Schon die Wahl der Abgeordneten nach Landeslisten weist ihre föderale Herkunft aus. Sie können aus ihrer Mitte einen zwischen 50 und 100 Abgeordnete umfassenden Verfassungsausschuss wählen und ihn mit der Erarbeitung einer neuen Verfassung beauftragen.

Ein paritätisch besetztes Gremium aus Bundesrat und Bundestag liefe Gefahr, in ähnliche Dilemmata zu geraten, wie wir sie jetzt bei der Diskussion um die Föderalismusreform vorfinden. Eines ist klar: Der Föderalismus soll mit dem Ziel erneuert werden, zu seiner Stärke, der sinnstiftenden Machtverteilung zwischen Bund und Ländern nach dem Subsidiaritätsprinzip zu finden und einen Wettbewerb zwischen den Ländern dergestalt zu ermöglichen, dass die Gleichartigkeit der Lebensverhältnisse nicht zerstört wird. Niemand wäre gut beraten, die Idee des föderativen Staats in Frage zu stellen.

Eine neue Verfassung für Deutschland muss zudem nicht gänzlich neu erfunden werden. Wir sind alle vom Grundgesetz geprägt und Zeit unseres Lebens bei den Vätern und Müttern des Grundgesetzes in die Lehre gegangen. Viel Bewährtes kann übertragen werden. Vor allem die Grundrechte haben sich in ihrer knappen und präzisen Formulierung als starke und geschätzte Abwehrrechte etabliert. Auch wenn die Maßgaben des Art. 79 GG für einen verfassungsändernden Gesetzgeber, nicht aber für einen (neuen) Verfassungsgeber gelten, so sollte dennoch der Leitgedanke des Art. 79 Abs. 3 GG, die sogenannte "Ewigkeitsgarantie" für die Gliederung des Bundes in Länder, die grundsätzliche Mitwirkung der Länder bei der Gesetzgebung und die in den Artikeln 1 und 20 niedergelegten Grundsätze in der neuen Verfassung respektiert werden.

Die neue Verfassung könnte bis zum Ende diesen Jahres vorgelegt werden. Eine neue Verfassung sollte dann zeitgleich mit einem Volksentscheidgesetz dem Bundesrat vorgelegt und der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Das Volksentscheidgesetzt könnte vorsehen, dass die neue Verfassung angenommen ist, wenn über 50% der Wahlberechtigten in Deutschland an der Abstimmung teilnehmen und wiederum über 50 % von ihnen mit einem "Ja" gestimmt haben. Dem deutschen Volke sollte die neue Verfassung zur freien Entscheidung am 23. Mai 2007, dem Tag des Grundgesetzes, vorgelegt werden.

Diese neue Verfassung für Deutschland könnte dann zum 1.1.2008, also noch in dieser Legislaturperiode, in Kraft treten.

Dieser Weg bietet sich auch deshalb an, weil für die neue, vom Grundgesetz nicht antizipierbare Situation der Bundesrepublik in einem sich vereinigenden Europa und in einer globalen Welt eine neue Verfassung geschrieben werden würde, die frei wäre von Alliiertenvorbehalten und nach 60 Jahren demokratischer Entwicklung in Deutschland auch frei von nicht mehr notwendigen Reflexen auf die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur und den undemokratischen Zentralstaat. Deutschland lässt sich nicht durch das Klein-Klein einer oder mehrer Föderalismusreformen europafähig machen. Wir brauchen den Weg einer neuen, richtungsweisenden Verfassung.

Das heißt, es wäre eine sich aus dem Grundgesetz entwickelnde moderne Verfassung, die alles was sich bewährt hat, bewahrt und einiges weiterentwickelt.

Die Frage steht deshalb jetzt im Raum: Wollen wir den Kompromiss des kleinsten erreichbaren Nenners von Bund und Ländern, der dem Parlament jetzt vorliegt oder haben wir den Mut, den visionär von den Vätern und Müttern gewiesenen Weg einer neuen Verfassung zu gehen?

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